Es ist der 24. April 2013. Das zweite Spiel der Playoff-Serie zwischen den Oklahoma City Thunder und den Houston Rockets. Fünf Minuten vor der Halbzeit will Russell Westbrook eine Timeout nehmen und wird dabei von Patrick Beverley unglücklich am Knie getroffen, weil dieser etwas ungestüm versucht den Ball zu stealen. Westbrook spürt sofort den Schmerz, die Diagnose, die folgt, ist erschütternd: Der Point Guard hat sich einen Meniskusriss zugezogen und fällt lange aus. Zwar können seine Teamkollegen die Serie gegen die Rockets auch ohne ihn mit 4-2 gewinnen, aber gegen die Grizzlies ist eine Runde später Schluss. Memphis gewinnt deutlich mit 4-1. Spätestens seit dem Aus ist klar: Westbrook ist ein ganz wichtiger Baustein im Spiel der Thunder, Kevin Durant kann OKC niht allein zu Titel schießen!

Jetzt ist Westbrook zurück. Trotz einer zweiten Knie-OP, der er sich Ende September unterziehen musste, dynamisch und explosiv wie eh und je – obwohl der 24-Jährige früher als erwartet wieder auf dem Parkett steht. Denn eigentlich war man von einer Pause bis mindestens Anfang Dezember ausgegangen. Doch bereits im dritten Saisonspiel gegen die Phoenix Suns feierte Westbrook sein Comeback. Fünf Spiele hat er mittlerweile bestritten, vier davon konnte OKC für sich entscheiden. Allerdings sind die Wurfquoten von Westbrook ernüchternd. Er traf bisher nur 31 seiner 89 Würfe (34,8%). Von „Downtown“ gingen in den ersten vier Spielen sogar noch weniger Bälle durch die Reuse (30,8%), seine 2 von 4 Dreier gegen die Clippers (103:111) haben die Quote auf 35,8 angehoben.

Doch woran liegt das? Und ist Westbrook wirklich so wichtig für die Thunder? Wo liegen seine Stärken und Schwächen? Es war festzustellen, dass der Aufbauspieler OKC zwar weiter bringt, aber nach der Verletzung noch Probleme hat, wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. Zeit für eine ausgiebige Analyse des Point Guards der Thunder.

Oklahoma City Thunder v Los Angeles Clippers

Kaum ein NBA-Guard hat so einen explosiven Drive wie Westbrook.

Stärken:

Russell Westbrook besticht durch seine Schnelligkeit. Es gibt kaum Spieler, die ihm folgen können, wenn er einen Fastbreak läuft. Sobald der Point Guard den Ball in die Hände bekommt, geht es mit Höchstgeschwindigkeit den Court runter. Doch seine Schnelligkeit kann er auch im Set-Play ausspielen. Ein Move aus seinem Repertoire beispielsweise ist, dass er vermeintlich in den ersten Sekunden der Schussuhr das Tempo raus nimmt und einen Spielzug aufbauen will. Doch die Sekunde, die der Gegner entspannt, nutzt Westbrook und ist mit einem schnellen ersten Schritt vorbei – und auf dem Weg zum Korb kaum aufzuhalten. Durch seine immense Athletik kann er seinen Zug zum Korb auch gegen den Mann per Dunking abschließen – und tut dies auch oft. Positiver Nebeneffekt der unzähligen Highlight-Plays: Auch die Big Men haben inzwischen gehörigen Respekt vor Westbrook und überlegen es sich zweimal, ob sie mit aufs Poster wollen. Dass er den Rost, den ihm seine Verletzungspause eingebracht hat, aber noch nicht ganz abgeschüttelt hat, zeigt seine Quote: Überraschenderweise versenkt der 24-Jährige bisher nur 34,2 % seiner Würfe in unmittelbarer Korbnähe.

Nichtsdestotrotz ist Westbrook nach wie vor ein Scorer. Er ist kein Pass-First-PG, der gerne Spielzüge kreiert und den anderen das Werfen überlässt. Zwar hat er mit Kevin Durant einen der besten Scorer der Liga an seiner Seite, aber Westbrook sucht auch gerne und oft selbst den Abschluss. Zu oft vielleicht sogar. Immerhin hat er in seinen ersten fünf Spielen schon 89 Würfe (Schnitt: 17,8; NBA-Rang 9) genommen. Die Quote lag dabei nur einmal bei 50%, dafür aber zweimal unter 30%. Seine Schussauswahl überdenkt Westbrook dennoch selten oder nie. Noch kurioser wird diese Tatsache, wenn man bedenkt, dass Durant in diesen fünf Spielen gerade mal zwei Würfe mehr genommen hat! Natürlich traf KD (50,5 %) deutlich hochprozentiger als Westbrook. Genau aus diesem Grund brauchen die Thunder unbedingt einen dritten Scorer. Den Job, den einst James Harden und Kevin Martin in Oklahoma gemacht haben. Foward Serge Ibaka (13,1 PPS) avanciert nun langsam zur dritten Scoring-Option und war mit seinen 25 Zählern auch maßgeblich am 106:105-Sieg gegen die Wizards am Sonntag beteiligt.

Fazit: Russell Westbrook muss unbedingt konstanter treffen, um in der Liste der besten Point Guards der NBA genannt zu werden. Doch er macht sich das Leben selbst schwer, wie die Analyse der Schwächen zeigt.

Problemzone. Nach seiner Verletzungspause ist Westbrooks Wurf wacklig

Problemzone. Nach seiner Verletzungspause ist Westbrooks Wurf wacklig

Schwächen: 

Die Diskussion, ob Westbrook ein Aufbauspieler oder doch eher ein Zweier ist, könnte man ewig führen. Festhalten kann man nur: Die Stats, die der Mann mit der Nummer 0 bisher auflegt (19,0 PPS, 5,0 AS), sind nicht eines Point Guards mit seinem Anspruch würdig. Auch seine Spielweise kann man nicht mit der eines Chris Paul oder eines Tony Parker vergleichen. Denn das Spiel von Westbrook besitzt noch zu viele Lücken, die den Thunder im Laufe der Saison noch Probleme bereiten könnten.

Es sind Spiele wie das gegen die Wizards am Sonntag, wo man ernsthaft über die Spielweise von Russell Westbrook nachdenken muss. Direkt im ersten Angriff des Spiels nimmt er einen Mitteldistanzwurf, den er mittlerweile fest in seinem Spiel integriert hat. Besonders in Schnellangriffen versucht er seine Gegner zu überraschen und nimmt den Jumper anstatt zum Korb zu ziehen. Mit eben diesem Wurf von der Freiwurflinie beginnt er die Partie. Obwohl er aus dem Pick-and-Roll kam, dribbelte er erst noch und nahm dann den Wurf mit der Hand des Gegners im Gesicht. Der beste Rebounder der Thunder, Serge Ibaka, weilte an der Dreipunktlinie. Dort lässt sich direkt ein erstes Problem erkennen: das Treffen von (richtigen) Entscheidungen. Westbrooks Würfe sehen meist ungeplant aus und finden häufig, bei diesem Beispiel zwar nicht der Fall, in den ersten Sekunden der Schussuhr statt. Zwar konnte sich die Defense noch nicht richtig positionieren, aber es sind auch noch keine Rebounder für die Thunder unter dem Korb. Da wie erwähnt viele Würfe das Ziel verfehlen, gibt es keine oder nur wenige zweiten Chancen. Allerdings ist das auch wenig verwunderlich, sind doch viele Schüsse wilde Korbleger nach einem Sprint den Court runter oder eben diese überhasteten Mitteldistanzwürfe.

Somit ist seine Wurfauswahl durchaus in Frage zu stellen. Auch vor seiner Verletzung hatte er immer wieder Spiele mit vielen Fehlwürfen. Auch weil zu viele Dreier nimmt anstatt seine Athletik auszuspielen. Sein Karriereschnitt von „Beyond the arc“ ist nicht überragend (30,2%), aber trotzdem versucht er oft einen Distanzwurf einzustreuen. Letzte Saison nahm er 300 Dreier, das waren 104 mehr als in der Saison zuvor.

Zudem sind seine Aktionen zuweilen zu sehr erzwungen und kommen ohne einen wirklich durchgeplanten Spielzug daher. Um später in einem Atemzug mit Chris Paul, Rajon Rondo oder auch Derrick Rose genannt zu werden, muss er sich in dieser Hinsicht steigern. Weniger wilde Würfe nehmen zum Anfang der Schussuhr, stattdessen öfter Set-Plays durchspielen, wo dann am Ende Kevin Durant die Kugel in der Hand hält. Immerhin ist er der bessere und effektivere Scorer.

Durch seine Scorer-Veranlagung kommen auch seine Vorlagen viel zu kurz. In seinen ersten fünf Partien verteilte er im Schnitt nur 5,0 Assists, wobei er diesen Wert nur den zehn „Dimes“ gegen die Clippers verdankt. Gegen Detroit blieb er hingegen in 30 Minuten ohne Assist! Mit den Anlagen und Optionen, die er bei den Thunder hat, kann und muss er diese Zahl noch enorm steigern. Auch aus diesem Grund, kommt immer wieder die Diskussion auf, ob Russell Westbrook nicht doch ein Shooting Guard ist. Er bringt vielleicht nicht ganz die Größe mit, aber seine Spielweise deutet eher auf einen Zweier hin.

Außerdem muss der 25-Jährige noch an seiner Defense arbeiten. Auch wenn man meinen könnte, dass er mit seiner Schnelligkeit und Athletik ein guter Verteidiger ist, muss man sich doch manchmal die Augen reiben, bei dem, was er defensiv auf dem Court abliefert. Da er sich sehr auf den Ball konzentriert, verliert er oft seinen Gegenspieler, der dann ohne Ball ist, aus den Augen. Dies kann eine Defense ziemlich durcheinander bringen. Während seine On-Ball-Defense mittlerweile sehr gut ist, muss er sich in der Verteidigung abseits des Balles steigern. Durch die Fixierung auf den Ball, versucht Westbrook bei Ballgewinnen möglichst schnell vorne zu sein. Durch diese Antizipation ist er ein exzellenter Fastbreak-Spieler. Dort kann er dann per Dunking vollenden. Klappt dies nicht, ist er nicht nah genug beim Gegenspier, vergisst das Ausboxen und macht es dem Gegner schlichtweg zu leicht zu Punkten zu kommen.

Dies hängt aber auch mit seiner Einstellung zusammen. Man sieht ihn auch gerne mal beim Reklamieren bei den Referees oder in einer hitzigen Diskussion mit seinen Mitspielern. Westbrook will das Team führen, allerdings gibt es mit Durant ein weiteres Alphatier in der Mannschaft. Ob dies gut gehen kann, werden wir im Laufe der Saison sehen. Zudem wird interessant zu beobachten sein, ob Westbrook Hilfe von einem dritten Scorer erhält, beispielsweise Serge Ibaka. Auch Teamkollege Durant weiß, wie wichtig Westbrook für das Team aus Oklahoma ist. Durant weiß aber auch, dass sein Mitspieler auf der Eins Spiele mit seinen wilden Würfen zerstören kann.

Fest steht also: Westbrook muss sich nach seinem Comeback noch enorm steigert und an seinen Schwächen arbeiten.