Hassan Whiteside von den Miami Heat erzielt im Spiel gegen die Charlotte Hornets einen Korb.

Hassan Whiteside steht im Schnitt pro Partie 29 Minuten auf dem Court.
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Etwas mehr als ein Jahr ist es her, als ein gewisser Hassan Whiteside aus dem Nichts von sich Reden machte. Sein ungeahnter Höhenflug kam in etwas so überraschend wie die „Linsanity“, die Jeremy Lin einst in New York auslöste. Da war ein 2,13 Meter großer Mann, der zwischen 2010 und 2012 magere 19 NBA-Spiele absolviert hatte und seither sein Glück in der D-League oder gar im Libanon und in China suchte. Ein 25-Jähriger, dem selbst ein Optimist nicht mehr den sportlichen Durchbruch zutraute. Und jener Hassan Whiteside mischte im Januar des vergangenen Jahres wie Kai aus der Kiste mit durchschnittlich 13,0 Punkten, 10,6 Rebounds und 3,4 Blocks in gerade einmal 23,6 Spielminuten die beste Basketballliga der Welt auf. Mehr noch: Der Monster-Blocker der Miami Heat, der noch in der Vorbereitung bei den Lakers und Grizzlies gescheitert war und unter Heat-Coach Eric Spoelstra zunächst keine Rolle gespielt hatte, bestätigte seine Leistungsexplosion und beendete die Saison mit einem Player Efficiency Rating von 26,26 Punkten. Hinter den Superstars Anthony Davis, Russell Westbrook, Stephen Curry, Kevin Durant und James Harden war er damit statistisch der sechsteffektivste Spieler der Saison. „Diese Geschichte zeigt dir einmal mehr, dass man im Leben und Basketball einfach nie auslernt“, stellt Eric Musselman, der den Big-Man in der Saison 2010/11 beim D-League Team der Reno Bighorns trainierte, verwundert fest. „Sie zeigt dir, dass du große Spieler nie so schnell aufgeben darfst, weil sie sich eben langsamer als Guards entwickeln. Zudem weißt du einfach nie, ob und wann die Glühbirne bei einem Typen angeht.“

Einstiger Unruheherd
Whitesides Lämpchen fing zweifellos sehr spät an zu glühen, doch es brennt seitdem so hell, als stecke die Energie eines ganzen Kraftwerks dahinter. „Es ist unglaublich. Das Ganze fühlt sich für mich noch völlig surreal an. Ich weiß nicht, ob es sich jemals normal anfühlen wird. Auf dem Court ist es okay, aber abseits davon bin ich überwältigt. Die ganzen luxuriösen Hotels und all das. Das ist einfach großartig“, geriet der Center unmittelbar nach seinem Höhenflug ins Schwärmen. Schließlich ähnelte sein Leben zuvor eher dem Gegenteil …

Rückblick: Hassan Niam wird gemeinsam mit sechs Geschwistern von seiner alleinerziehenden Mutter im 70.000 einwohnerstarken Gastonia im US-Bundesstaat North Carolina großgezogen. In nicht einfachen Verhältnissen aufgewachsen, leidet er zudem an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom und wechselt in seiner Jugend insgesamt vier Mal die Highschool, darunter 2006 ein zwischenzeitlicher Aufenthalt bei seinem Vater in Newark, New Jersey. Auf dem Basketball-Court findet Whiteside in schweren Zeiten stets einen Rückzugsort und gilt dort aufgrund seiner Größe und Athletik durchaus als vielversprechendes Talent – Aussichten auf eine Profikarriere inklusive. Doch nach nur einem Jahr am College, wo er 13,1 Punkte, 8,9 Rebounds und 5,4 Blocks pro Spiel für die Marshall University auflegt, zweifeln die NBA-Scouts an seiner Reife, Intelligenz und Teamfähigkeit. Whiteside wird beim NBA-Draft 2010 letztlich erst an 33. Stelle von den Sacramento Kings gepickt und bestätigt im Anschluss die Befürchtungen der Rekrutierenden. „Er hatte Phasen, da war er wirklich stark, und vor allem seine Block-Werte waren unglaublich“, erinnert sich sein damaliger D-League-Coach Musselman. „Aber er trat immer so auf, als sei er nicht Teil des Teams. Ohne den richtigen Willen und Fokus. Er fragte sich immer, wie er am schnellsten wieder aus der D-League herauskommt, während sich andere Spieler wie etwa Jeremy Lin in der Entwicklungsliga die Frage stellten, wie sie sich hier spielerisch weiterentwickeln können. Als D-League-Spieler bist du immer mit einem Bein drin und mit einem Bein draußen, aber Hassan verstand es so, dass er mit beiden Beinen draußen ist.“

Defensive Naturgewalt
Es sind letztlich wohl die offengelegte Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und Wirklichkeit, verbunden mit den zahlreichen Rückschlägen auf hohem Niveau, die dafür sorgen, dass bei Whiteside das Lämpchen aufleuchtet und ein Umdenken stattfindet. „Ich habe immer gehofft, dass er Energie daraus schöpfen kann, dass manche Menschen und Teams nicht auf sein Talent gesetzt haben“, bestätigt sein Agent Andre Buck. Eine Denkweise, die auch in dieser Saison noch gültig ist. Denn schrieb Whiteside in der vergangenen Spielrunde noch ein Märchen, so musste er dieses nun bestätigen. Keine leichte Aufgabe, da Ruhm und Hype im Profisport wohl eine der vergänglichsten Erscheinungen überhaupt sind. Doch Hassan hielt und hält diesem Druck in der laufenden Spielzeit stand. Mit 13,4 Punkten, 11,7 Rebounds und sagenhaften 3,9 Blocks konnte sich der 26-Jährige nochmals steigern und Karrierebestwerte auflegen.

Besonders letzterer Wert wird dabei zu seinem Markenzeichen. Es sind spektakuläre Abwehraktionen über Ringniveau, mit denen der 2,13 Meter große Center die abendlichen Highlight-Zusammenschnitte füllt und die Herzen der Basketballfans erobert. Seit Big-Man-Legende Dikembe Mutombo (4,5 Blocks pro Spiel) vor 20 Jahren in der Saison 1995/96 konnte kein Spieler mehr so viele erfolgreiche Blockversuche verbuchen wie Whiteside. Dabei hat seine enorme Präsenz in der Zone auch einen großen Einfluss auf den Teamerfolg der Heat. So stellen die Männer aus Florida mit 100,8 gegnerischen Punkten pro 100 Angriffe die sechstbeste Verteidigung der Liga. Schließlich können sich die Verteidiger in vorderster Front auf ihre Absicherung in unmittelbarer Korbnähe verlassen und somit höher und aggressiver verteidigen. Whiteside ist dabei mit einer Spannweite von sagenhaften 231 Zentimetern eine echte Naturgewalt und jagt den Franchise-Rekord (294 Blocks in einer Saison) von Heat-Legende Alonzo Mourning hinterher. „Eigentlich habe ich es früher gehasst, Center zu spielen, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Und irgendwann habe ich dann auch gemerkt, dass ich ein ganz guter Shotblocker bin“, kommentiert der Big-Man seine größte Stärke relativ kühl und fügt hinzu: „Als ich Alonzo Mourning das erste Mal getroffen habe, hat er mir verraten, dass er gerne so athletisch und groß wie ich gewesen wäre. Er hat mir gesagt, dass ich auf jeden Fall das Zeug zum Defensive Player of the Year habe.“

Mehr als ein Defender
Eine Auszeichnung, die das einstige Problemkind in dieser Saison zweifellos verdient gehabt hätte, auch wenn letztlich Kawhi Leonard den Award abräumte. Aber es ist nicht nur die Defensive, die Whiteside in dieser Saison erneut zu einem der zehn effektivsten Spieler der Liga macht (PER 24,98, NBA-Rang 9). Nein, der US-Amerikaner setzt auch in der Offensive die nächsten Duftmarken. So knackte er 16 Mal die 20-Punkte-Marke, markierte mit 26 Punkten ein neues Career-High und verbuchte drei Triple-Doubles (NBA-Rang 6). Zum Vergleich: In der gesamten Vorsaison erzielte Hassan nur vier Mal 20 oder mehr Zähler, nur ein einziges Triple-Double stand am Ende zu Buche. Auch offensiv spielt das Kraftpaket dabei seine Athletik aus und agiert über Ringniveau. So donnerte Whiteside bereits über 120 Mal das orangene Leder durch die Reuse (NBA-Rang 5). Etwas weniger als die Hälfte seiner Dunks erfolgten dabei per Alley-Oop. „Seine Dunkings können das Spiel auf den Kopf stellen. Es ist einfach demoralisierend für den Gegner. Besonders, wenn es dir mehrfach in einem Spiel gelingt“, schwärmt Teamkollege Josh Richardson. „Zudem müssen sich die Teams so defensiv anders auf uns einstellen, was wiederum Freiräume für die kleineren Spieler schafft.“

Gerade gegen Saisonende konnte Whiteside seine Offensivausbeute mit knapp 17 Zählern pro Spiel im Monat März auf ein noch höheres Level heben. Erstaunlich ist dabei seine Freiwurfquote, die seit dem All-Star-Break von schwachen 55,2 auf für einen Center starke 80,9 Prozent gestiegen ist. „Er arbeitet sehr hart an sich“, erklärt Heat-Coach Erik Spoelstra. „Spieler, die diese Arbeitsmoral mitbringen, werden langfristig besser. Er hat im Sommer einen so hohen Aufwand betrieben und wird jetzt dafür belohnt. Die ersten zwei Monate hatte er noch ein paar mentale Probleme von der Linie, aber jetzt trifft er sie regelmäßig.“ Beeindruckende Statistiken, eine entscheidende Rolle bei den Heat und Lob vom Trainer – das scheint nicht mehr besser zu gehen, und dennoch hat Whiteside in dieser Saison noch einen weiteren, wichtigen Schritt in seiner Karriere gemacht. So kommt das einstige Problemkind seit einer Verletzung Ende Januar, die ihn für sechs Spiele außer Gefecht setzte, von der Bank. Eine neue Rolle, die er vor knapp zwei Jahren noch als Degradierung verstanden hatte, nun aber im Sinne des Teams mit vollem Einsatz ausfüllt. In den NBA-Playoffs wartet auf den 26-Jährigen nun auch erstmals die ganz große Basketballbühne. Hassan Whiteside möchte sich auch dort beweisen. Schließlich läuft sein Vertrag nach dieser Saison aus, und er wird einer der begehrtesten Free Agents des Sommers werden. Doch bis dahin zählen nur die Miami Heat.

Thomas Huesmann