KG war einer der leidenschaftlichsten Spieler aller Zeiten (Foto: Getty Images).

KG war einer der leidenschaftlichsten Spieler aller Zeiten (Foto: Getty Images).

Legende und Ringjäger
Minnesota einigt sich mit Boston auf einen Trade: Kevin Garnett geht zu den Celtics – im Gegenzug erhalten die Timberwolves Al Jefferson, Sebastian Telfair, Gerald Green, Ryan Gomes, Theo Ratliff sowie zwei First-Round-Picks. Nie wurde so ein Paket für einen einzigen Spieler gestrickt. „In meinem Herzen werde ich immer ein Timberwolve bleiben, aber ich will jetzt diesen Ring“, sagt Garnett. Terry Porter, ehemaliger Teamkollege in Minnesota,erklärt: „In Minnesota hat ihm einfach die Unterstützung gefehlt. Kevin war brillant, doch er hatte keine Helfer auf Superstar-Level. Und jeder, speziell er selbst, wusste, dass er die Championship gewinnen muss, um ein ganz Großer werden zu können.“ Dwane Casey, Ex-Coach der Timberwolves, verrät später: „Kevin war enttäuscht und sauer, dass das Team, das 2004 die Conference-Finals erreicht hatte, danach sofort aufgelöst wurde.“
Brisant: Laut Insidern gab es drei Clubs, die als Trade-Ziel ­galten. Cleveland um LeBron James, die Los Angeles Lakers um Kobe Bryant und eben die Celtics. Schlussendlich war das gute Verhältnis zwischen Celtics-General-Manager Danny Ainge und Timberwolves-GM Kevin McHale ausschlaggebend. „Wir haben uns oft über einen möglichen Trade unterhalten und ihn 2007 realisiert“, so Ainge.
Gemeinsam mit Paul Pierce und dem ebenfalls neu nach ­Boston gekommenen Ray Allen bildet der Big Man die neuen „Big Three“ der Kelten und greift mit ihnen die Mission „Titel­gewinn“ an. Das Projekt geht prompt auf: Garnett wird „Defen­sive Player of the ­Year“, die Celtics marschieren in die Finals und schlagen die ­Lakers (4:2). Kevin übermannen die Emotionen. Unvergessen bleibt sein Interview während der Meisterzere­monie: Erst weint er, dann schreit er laut: „Alles ist möglich. Alles ist möglich!“ Er nimmt NBA-Legende Bill Russell in den Arm: „Jetzt habe ich meinen eigenen Ring.“ Später freut sich der 32-Jährige: „Endlich, endlich habe ich meinen Ring. Danke, danke, ich bin so glücklich.“
Endlich ist er vollkommen. Er hat alles gewonnen, was man braucht, um ein ganz Großer zu sein. „Kevin ist einzigartig. Sein Einfluss auf das Spiel, auf die Mannschaft, auf die gesamte Organisation ist nicht in Worte zu fassen“, lobt Coach Doc Rivers, und Paul Pierce sagt: „Ich habe noch nie mit jemandem gespielt, der so entschlossen, emotional, professionell und verdammt gut ist!“

Trash-Talker und Siegertyp
Aus diversen Gründen, vor allem wegen zahlreicher Verletzungen, erreichen die „Cs“ nur noch 2010 das Finale, gewinnen ­keine ­zweite Meisterschaft mehr. 2013 schicken sie Garnett nach ­Brooklyn, wo es sportlich nach unten geht. Der Big Man ist in die Jahre gekommen und sieht sich in einer neuen Rolle. „Ich kann keine Mannschaft mehr tragen, aber den unerfahrenen Jungs vieles beibringen“, schildert KG seine Situation.
Einiges ändert sich allerdings nicht: seine Einstellung, seine Körpersprache, seine schnelle Zunge. Garnett bleibt der Leader, der Wortführer, der Trash-Talker. Immer und überall hält er Trash-Talk. Ein Markenzeichen des 2,11-Meter-Mannes, das ihn zum Albtraum einiger Spieler werden lässt. „Ich erinnere mich noch genau: Wir haben Trash gelabert, und dann habe ich ihn, weil ich so wütend war, beim Kampf um den Rebound auf den Boden ­geschubst. Er lag da, hat mich komplett ignoriert, fünf Liegestütze gemacht und ist aufgestanden, als wäre nichts passiert. Ich war mental raus aus dem Spiel, weil mich das so beschäftigt hat“, erinnert sich Grizzlies-Power-Forward Zach Randolph und fügt noch kurz hinzu: „Das Spiel haben wir verloren.“
Unvergessen bleibt auch das Aufeinandertreffen mit dem ­damaligen Bulls-Rookie Joakim Noah. „Kevin hat ihn vollgelabert. Alles Mögliche hat er zu ihm gesagt. Irgendwann hat ­Noah ihn angeschaut und gesagt, dass er enttäuscht sei. Er habe Poster von KG an seiner Wand hängen gehabt, und nun sei er so unfreundlich. Da hat Kevin ihm bitterböse in die Augen geschaut und ‚F*** you‘ gesagt! Das werde ich nie vergessen. Joakim Noah war völlig fertig. Er steht als Rookie vor einem seiner größten Helden, und der sagt ihm dann so etwas. Noah war einfach nur fertig“, blickt Paul Pierce zurück.
Garnett und seine Provokationen, seine Gesten, seine Wortgefechte mit den Gegenspielern, seine aggressive Aura. Auf dem Court haben wir all das gesehen, dabei ist er außerhalb des Basketballs ein ganz anderer, wie Ex-Teamkollege Sam Cassell ­beschreibt: „Bei ihm ist es wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Abseits des Feldes ist er ein ganz feiner Kerl, und man kann tolle Gespräche mit ihm führen. Aber auf dem Court wird er zum Irren. Wenn du nicht zu seinem Team gehörst, bist du sein größter Feind.“
Wie wahr. Als Ray Allen von Boston nach Miami wechselt und sich beide Teams in der neuen Saison zum ersten Mal duellieren, begrüßt Allen die ehemaligen Coaches und Kollegen. Als er KG, der auf der Bank sitzt, die Hand hinhält, würdigt ihn dieser keines Blickes – eiskalt. Auf der anderen Seite lässt er die Welt an seiner Trauer um den verstorbenen Flip Saunders teilhaben –
warmherzig. So ist er eben, Kevin Maurice Garnett. Speziell, ­besonders, einzigartig. Ein Charakter, ein Typ eben, wie man ihn nur sehr selten in der NBA findet.

Aushängeschild
Seit Februar 2015 ist „The Big Ticket“ zurück in seiner Basketball-Heimat, in Minnesota. Der mittlerweile 40-Jährige hat einen Vertrag bis Sommer 2017 unterschrieben und soll der jungen, talentierten Truppe zum ganz großen Erfolg verhelfen. Dass er in der frisch abgelaufenen Spielzeit 44 Mal nicht mitwirken konnte und nicht mehr der Leistungsträger früherer Tage ist, spielt keine Rolle. Er hat die Stadt zurück in die Arena geholt und somit der neuen Generation um Andrew Wiggins, Karl-Anthony Towns und Zach LaVine den größten Dienst erwiesen. „Als er in Minnesota spielte, war die Arena eine der lautesten der Liga. Nachdem er sie verlassen hatte, herrschte fast immer eine gespenstische Stille. Nun gibt es wieder Leben in Minnesota“, sagt Paul Pierce.
Je näher das Karriere-Ende nun kommt, desto deutlicher wird: Der am 19. März 1976 in Greenville, South Carolina, geborene Kevin Garnett hat die NBA revolutioniert und entscheidend ­geprägt, auf seine eigene, einzigartige Weise.

Henning Kuhl

Die XXL-Story über „Da Kid“ Kevin Garnett wurde es in der BASKET-Ausgabe 07-08/2016 am 18. Mai 2016 veröffentlicht.

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