Endlich! Die Teilnehmer an den Western Conference Finals stehen fest. Nachdem die Golden State Warriors die New Orleans Pelicans mit 4:1 vermöbelten, und sich die Houston Rockets mit dem gleichen Ergebnis gegen die überraschend starken Utah Jazz durchsetzten, bekommen wir nun das, worauf sich die Basketballwelt seit Anfang der Saison gefreut hat. Die Rockets gegen die Warriors. Chris Paul gegen Stephen Curry. James Harden gegen Kevin Durant. Nicht wenige sprechen von einem vorgezogenen Finale, da der Gewinner der Western Conference Finals als haushoher Favorit auf den Titelgewinn gehandelt wird. Sollte Houston die Nordkalifornier tatsächlich aus dem Rennen werfen können? Klingt spannend, oder? Analysieren wir mal ein bisschen…

Taktik:

Wir werden ohne Zweifel eine Dreierparade sehen. Die Scharfschützen werden es hüben wie drüben regnen lassen. Rockets Coach Mike D’Antoni verfolgt die Strategie, dass eine gute Offense wichtiger ist als eine gute Defense. Ihr Ziel sind 110 oder mehr Punkte pro Partie. Um das zu erreichen wird das Tempo extrem hoch gehalten und der Abschluss wird per Korbleger oder Dreier gesucht. Würfe aus der Mitteldistanz werden eher geduldet als gewünscht. Obwohl Chris Paul, Trevor Ariza, PJ Tucker, Clint Capela und auch Luc Mbah a Moute durchaus verteidigen können, wird von der sportlichen Leitung der Rockets das Hauptaugenmerk auf das Scoring gelegt. In der Set Offense kreieren James Harden und CP3 im Eins-gegen-Eins für sich und andere. Das ist allerdings relativ durchsichtig und vorhersehbar.
Die Warriors spielen grundsätzlich natürlich ähnlich. Durch ihre enorm schnelle Spielweise ergeben sich immer wieder Überzahlsituationen, die teilweise zu spektakulären Läufen führen. Die Warriors können in wenigen Minuten wie bei einem Videospiel Punkte auf das Scoreboard zaubern. Da sind Runs von zehn Punkten in einer Minute keine Seltenheit. Besonders seit die „Hamptons Five“ für Golden State startet, ist das Team noch schneller und variabler geworden. Für die, die es nicht wissen, die „Hamptons Five“ haben ihren Namen dadurch bekommen, dass Steph Curry, Andre Igoudala, Klay Thompson und Draymond Green im Juli 2016 zu Kevin Durant in die Hamptons geflogen sind, um ihn zu bezirzen und offensichtlich erfolgreich in die Bay von Kalifornien zu locken. Die Warriors fühlen sich nämlich auch in der Set Offense wohl. Der Ball läuft gut und das Team ist eingespielt. Der größte Unterschied dürfte aber wohl in der Defense liegen. Dank eines Draymond Green, der seine Mitspieler immer wieder hemmungslos anschnauzt, wenn diese hinten nicht 100 Prozent geben, kann Golden State auch durchaus Phasen überstehen, in denen die Jungs nur Fahrkarten schießen.
Vorteil: Warriors

Erfahrung:

Die Houston Rockets sind James Hardens Team, aber einen Titel gewonnen hat „The Beard“ bisher noch nie. Chris Paul hat in diesen Playoffs unter Beweis gestellt, wie wichtig er für das Team ist. Doch für den mittlerweile 33-jährigen Point Guard sind es tatsächlich die ersten Conference Finals seiner Karriere.
Die Warriors dagegen kennen seit Jahren nichts anderes als die NBA Finals. Sie sind eingespielt und können ohne Probleme mit dem Druck einer Western Conference Finals Serie umgehen. Sie haben mit Steph Curry, Andre Igoudala und natürlich Kevin Durant etliche Regular Season und/oder NBA Finals MVPs in ihren Reihen.
Bei so viel Erfahrung fällt folglich auch nicht so viel ins Gewicht, dass die Rockets Heimvorteil haben. Die Warriors sind ausgebufft genug, um in fremder Halle zu siegen.
Vorteil: Warriors

X-Factor:

Für die Rockets hängt viel von ihrer Wurfquote ab. Sitzen die Dreier, während die Warriors eiskalte Wurfhände haben, dann haben sie eine gute Chance zu gewinnen. Doch wer glaubt schon daran, dass Steph Curry, Klay Thompson und Kevin Durant über so viele Spiele kein Scheunentor treffen?
Der X-Factor bei den Rockets ist tatsächlich Eric Gordon. Wenn Gordon heiß läuft, ist der Guard eine Scoring Maschine. Der 30-Jährige wurde letzte Saison nicht umsonst zum „Sixth Man of the Year“ gewählt. Der NBA Three-Point Champion des Jahres 2017 kann vom Parkplatz die Lichter ausschießen, aber auch energisch zum Korb gehen und am Ring trotz harter Fouls erfolgreich abschließen.
Der X-Factor bei den Warriors ist Draymond Green. Zum einen ist er sehr „streaky“ von der Dreierlinie. Der Forward ist kein konstanter Schütze, aber kann durchaus mal eine Serie hinlegen. Zum anderen ist er teilweise übermotiviert. Seine Coaches und Mitspieler akzeptieren ihn zwar so wie er ist, denn nur ein emotionaler Draymond ist ein echter Draymond, aber Green hat seinem eigenen Team auch schon viel Kopfzerbrechen bereitet. Die Warriors leben mit seinen Eskapaden, auch wenn er damit teilweise oft mit einem Bein vor der Disqualifikation steht.
Vorteil: Unentschieden

Coaching:

Mike D’Antoni ist zweifelsohne ein hervorragender Coach. Bereits bei den Phoenix Suns setzte er seinen Spielstil sensationell um. Steve Nash wäre sicher ohne D’Antoni niemals zweifacher MVP geworden, aber zum ganz großen Wurf hat es eben bisher nie gereicht. Der 67-Jährige hat wirklich nicht viel für Defense übrig. Ihn interessiert der Flow (Spielfluss), Spacing (Raumaufteilung), Turnovers, Wurfauswahl und -anzahl.
Der 52-jährige Steve Kerr dagegen hat bereits als Spieler mit den Chicago Bulls (Coach Phil Jackson) und den San Antonio Spurs (Coach Gregg Popovich) Titel gewonnen und deren Kultur verinnerlicht. Von diesem immensen Erfahrungsschatz profitiert Kerr natürlich heute in seiner Rolle als Cheftrainer. Seine Spieler schätzen das an ihm. Diese Kultur des Gewinnens gibt Selbstvertrauen. Und das ist teilweise wichtiger als jedes Spielsystem. Zudem ist Kerr aber auch ein Trainerfuchs, der immer wieder für eine Überraschung gut ist. Offensiv wie defensiv ist er kreativ. Er nimmt nach Niederlagen „Adjustments“ vor, und genau darauf kommt es auf diesem Niveau an. Diese Veränderungen entscheiden darüber, ob du ein guter Coach bist oder nicht. Kerr hat keine Angst davor, Fehler zu machen. Das ist das Zeichen eines guten Leaders.
Vorteil: Warriors

Fazit:

Ich wünsche mir eine lange und spannende Serie, aber ob wir wirklich so viele legendäre Spiele sehen werden, bleibt abzuwarten. Wie ich das sehe, wird der amtierende Meister aus Oakland wieder in die NBA Finals einziehen. Fünf Spiele, maximal sechs, werden die Warriors benötigen, um zum vierten Mal im Finale zu stehen. Doch vielleicht straft der Basketballgott mich ja erneut Lügen…

Der Autor:
Dean Walle ist Basketball-Journalist in den USA und schreibt direkt aus den Staaten für BASKET. Mit spitzer Feder und sportlichem Sachverstand nimmt er die Geschehnisse der besten Basketball-Liga der Welt in seiner neuen BASKET-Kolumne unter die Lupe.