Bereits vor dem NBA-Draft 2018 galt DeAndre Ayton als einer der großen Favoriten auf den Top-Pick, der Big Man aus Arizona will die NBA dominieren. Der Weg aus der Provinz auf den Bahamas zum College-Star war hart und steinig, für seinen Traum musste Ayton einiges aufgeben.

 

Der Gedanke liegt nahe, dass Roy Williams in seiner Karriere als Basketball-Coach schon fast alles erlebt hat. Der heute 67-Jährige steht seit 2003 als Headcoach des College-Teams von North Carolina an der Seitenlinie, einem der renommiertesten Programme der USA. Vorher war er 15 Jahre in gleicher Position bei Kansas tätig, von 1978 bis 1988 außerdem zehn Jahre als Assistantcoach bei North Carolina. ­Allein als Headcoach hat er schon fast 1.100 Basketball-Spiele bestritten. Williams hat so viele Spielzüge laufenlassen, so viele Emotionen erlebt, so viele Top-Talente kommen und gehen sehen – diesen Mann sollte im Basketball-Business nichts mehr schocken, meint man. Doch an diesem lauen Abend im Sommer 2014 war es so weit: Williams hatte sein Team zur Saison-Vorbereitung nach Paradise Island fliegen lassen, einer kleinen, vorgelagerten Insel nahe Nassau, der Hauptstadt der Bahamas. Dort traten seine Talente, die es gut neun Monate später in die „Sweet 16“ des NCAA-Tournaments schaffen sollten, gegen eine regionale Auswahl der besten Nachwuchsspieler an. Und Williams traute seinen Augen kaum: Nicht nur, dass die „Gastgeber“ die Partie mit 84:83 für sich entschieden. Nein, sein Team wurde auch noch vom jüngsten Spieler auf dem Court dominiert. Sein Name: DeAndre Ayton. Der Big Man war gerade erst 16 Jahre alt, lieferte aber auf dem Court mit 17 Punkten und 18 Rebounds eine überragende Performance ab – gegen die Jungs aus North Carolina, die meist drei oder vier Jahre älter waren als er.

Von den Bahamas auf die NBA-Bühne

Es ist eine Story, die DeAndre Ayton noch heute selbst gerne erzählt. Nicht etwa, um sich selbst zu profilieren, sondern weil er stolz ist, damals Teil des Teams gewesen zu sein. Mit seinen Landsleuten hatte er gezeigt, dass auch auf den Bahamas richtig guter Basketball gespielt wird. Dass das so ist, hat der heute 19-Jährige nicht nur damals eindrucksvoll unter Beweis gestellt, sondern er will es jetzt auch der besten Basketball-Liga der Welt klar machen. Denn Ayton ist heute eben nicht mehr 16, sondern ein erwachsener Mann. Nach einem Jahr am College von Arizona meldete er sich zum diesjährigen NBA-Draft an und zählte dort zu den begehrtesten Youngstern. „Die NBA hat noch nie einen Spieler wie mich gesehen“, sagt DeAndre Ayton selbstbewusst. Und viele Experten sind sich sicher, mit dieser Einschätzung könnte er sogar recht haben.

Ayton

DeAndre Ayton (Foto: Getty Images).

Heute ist DeAndre Ayton ein Star – oder zumindest auf dem besten Weg einer zu werden. Doch wie hat es das Kind von den sonnigen Bahamas in die Schlagzeilen geschafft? Wie wurde aus dem kleinen DeAndre, der als Kind lieber Schlagzeug und Fußball spielte, einer der kommenden Vorzeige-Center der NBA, das „unglaubliche“ Talent, als das ihn die General Manager in der Liga beschreiben? Fest steht: Es war ein langer, ein harter Weg, in dessen Verlauf einige harte Prüfungen auf DeAndre Ayton warten sollten.

Am 23. Juli 1998 bringt Andrea Ayton ihren Sohn DeAndre in Nassau zur Welt. Andreas zweiter Ehemann Alvin, den DeAndre heute als seinen Vater bezeichnet, behandelt das Kind wie sein eigenes und wird für ihn zum Ersatzvater. Mit seinem biologischen Vater hat DeAndre dagegen kaum Kontakt. „Er ist ein Fremder für mich. Ich möchte nicht hören, was er zu sagen hat. Über was – außer, dass er Geld von mir will – könnte er mit mir sprechen wollen?“, sagt der 2,16-Meter-Riese. Mit seinen vier Geschwistern und seinen Eltern lebt DeAndre in einem Zwei-Zimmer-Apartment am Rande von Nassau, in einer Gegend, die die Touristen von den Kreuzfahrtschiffen lieber meiden. „Viele Leute denken, sie wären arm, wenn sie kein neues Handy haben. Bei uns wohnen Menschen in Holzhäusern, teilweise in Strohhäusern. Es gibt kaum Wasser, oft keinen Strom. Aber meine Mutter und mein Vater haben das überragend gemacht.“ Andrea und Alvin verzichten selbst auf fast alles und nehmen Zweitjobs an, um ihre Kinder auf Privatschulen schicken zu können – keines der Kids soll die Chance auf Bildung verpassen.

Basketballer statt Comedian

Der kleine DeAndre ist ein aufgewecktes Kind, fällt Verwandten und Freunden oft durch seine witzige Art auf. „Ich dachte immer, er würde mal Comedian werden“, erinnert sich die Mutter. Die Spezialität ihres Sohnes: Personen imitieren. Ein Hobby, das er noch heute pflegt und vor dem auch Journalisten, Teamkollegen und Coaches nicht sicher sind.

Ayton

Mit seiner Größe von 2,16 Metern und einer Spannweite von 2,27 Metern taugt Ayton auch als Rim-Protector.

Noch bevor seine Liebe zum Sport erwacht, entdeckt Ayton seine Liebe zur Musik. In der Kirchen- und Schulband spielt er Schlagzeug, allerdings mit unangenehmen Folgen: Denn DeAndre hat viel Kraft, macht regelmäßig etwas kaputt. So wird sein Hobby für die Familie bald zu teuer. Bis er zwölf Jahre alt ist, spielt Fußball eine große Rolle. Erst später Basketball. Entdeckt wird er vor allem wegen seiner Größe. Schon mit zwölf misst Ayton schlappe 1,95 Meter. Ab unter den Korb mit ihm, sagen seine ersten Coaches. Doch DeAndre ist nicht nur furchtbar untalentiert, sondern hat auf die Aufgaben als Big Man auch keine Lust. „Ich wollte immer das tun, was die Guards tun. Das hat mir mehr Spaß gemacht“, erinnert er sich. Also überspringt er die Postmoves, dribbelt mit seinen kleineren Mitspielern und beginnt, von der Dreierlinie zu werfen.

Sein Sturkopf macht es den Coaches nicht immer leicht, doch heute profitiert Ayton davon. Als Big Man, der nicht nur dribbeln kann, sondern auch solide von „Downtown“ trifft, verkörpert er genau jene Art von Big Man, die in der NBA aktuell gefordert ist.

Auf dem Court entwickelt sich Ayton schnell, noch im selben Jahr erhält er eine Einladung zum Jeff Rodgers` Basketball-Camp, dem wichtigsten Nachwuchscamp der Bahamas. Die 100 Dollar Teilnahmegebühr hat er sich im Betrieb von Vater Alvin, einem Klempner, selbst verdient. Es sollte der Startschuss für eine steile Karriere sein: Ayton dominiert das Camp fast nach Belieben und erhält ein Stipendium für die Balboa City School in San Diego, einem Ausbildungszentrum mit gerade einmal rund 100 Schülern. DeAndres Eltern sind keine Fans von der Idee, ihren Sprössling so früh in die weite Welt ziehen zu lassen, willigen aber ein. Vielleicht haben sie geahnt, dass es in den USA nicht einfach wird für den „kleinen“ DeAndre.