Variabler Stil, eindeutige Rolle

Jenes Feuer flackert bereits in seiner Rookie-Saison 2002/03 auf. Trotz einer anhaltenden Knöchelverletzung, die er sich bei der WM im Sommer zugezogen hat, absolviert Ginobili 69 Spiele, darf im Schnitt 20,7 Minuten ran und verbucht ordentliche 7,6 Punkte. In den Playoffs spielt „Manu“ in der Rotation von Startrainer Gregg Popovich dann eine noch größere Rolle, stellt die Suns, Lakers und Mavs auf dem Weg in die Finals immer wieder vor unlösbare Aufgaben und darf nach einem Sweep über die Nets in den NBA-Finals gleich in seiner Premierensaison den ersten NBA-Titel feiern. Zwar sind die Stärken und Schwächen der „Twin Towers“ um Tim Duncan und David Robinson sowie dem aufstrebenden Point Guard Tony Parker den Konkurrenten bekannt, doch den vierten Trumpf in der Spurs-Offensive können sie nicht auch noch ausschalten. Ginobili besticht schon damals mit seinem etwas wilden, schwer vorhersehbaren und stets selbstlosen Spielstil. Er agiert äußerst variabel, kann mit seinem Drive Löcher in die Defensive des Gegners reißen, ist gleichzeitig aber auch in der Lage, immer mal wieder einen Dreipunktewurf zu verwandeln. Und zu guter Letzt macht er das alles mit seiner starken linken Hand.

Manu

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Seinem teils unorthodoxen Stil bleibt der Argentinier dann auch in den 14 folgenden Spielzeiten treu. Und seiner Rolle als sechster Mann übrigens auch. So steht „Manu“ in seinen 992 NBA-Spielen lediglich 349 Mal in der Starting-Five, was einen Anteil von 35 Prozent ausmacht. In den Playoffs (53 von 213) startet er nicht einmal ein Viertel der Spiele. Doch Coach Gregg Popovich verfolgt einen klaren Plan, will Ginobili als Anführer der Bank in der Hinterhand haben, und dieser nimmt die Rolle ohne Widerstände an. Denn der Argentinier ist ein absoluter Teamplayer, der das Wohl der Mannschaft stets über sein eigenes Ego stellt. Ein Habitus, der bei den Spurs über die Jahre so stark wie bei keinem anderen Club verfestigt ist. Da er sich dem gemeinsamen Ziel absolut unterordnet, folgen die Auszeichnungen und Erfolge praktisch von selbst. Im Jahr 2005 erhält Ginobili die erste All-Star-Nominierung und holt seinen zweiten NBA-Titel. Zwei Jahre später darf er sich zum dritten Mal „NBA-Champion“ nennen und in der Saison 2007/08 – seiner mit 19,5 PPS, 4,8 REB und 4,5 AS statistisch besten – folgt die längst überfällige Auszeichnung als „NBA-Sixth-Man-of-the-Year“.

Legende und Revoluzzer

Heute, nach über zwei Jahrzehnten im Profisport, kann Emanuel David Ginobili Maccari auf eine weitere NBA-Meisterschaft (2014) und Berufung ins All-Star-Team (2011) zurückblicken. Seine Vitrine ist vollgepackt mit Trophäen, er ist längst zum Volksheld aufgestiegen, dürfte nach Maradona und Messi der bedeutendste Sportler der jüngsten Sportgeschichte Argentiniens sein. „Er hat viel mehr erreicht, als man sich je hätte denken können“, weiß auch Ettore Messina.­ „Ich wusste immer, dass er über ein besonderes Talent verfügt. Aber so sehr ich ihn gemocht habe, hätte ich mir nicht ein Mal ausmalen können, dass er mal ein Hall of Famer werden könnte.“

Manu

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Dabei sind die ganzen Erfolge und Trophäen nur die eine Seite der Medaille. „Manu“ Ginobili hat darüber hinaus die NBA revolutioniert. Er hat mitunter dazu beigetragen, den Weg für internationale Talente zu ebnen. Aus seinem Draft-Jahrgang wurden lediglich neun nicht-amerikanische Spieler in die Liga geholt. Beim letztjährigen Draft wurde dagegen mit 26 internationalen Spielern ein neuer Rekord aufgestellt. 113 internationale Spieler aus 41 verschiedenen Ländern bedeuteten für die Saison 2016/17 ebenfalls eine Bestmarke. Den gefürchteten „Euro-Step“ machte Ginobili in der besten Liga der Welt überhaupt erst salonfähig. Gleiches gilt für die Etablierung des „Floppings“, wenngleich diese Kunst, die ihm in Italien beigebracht wurde, mit einem Augenzwinkern zu betrachten ist und dafür sorgt, dass Ginobili über die Stadtgrenzen San Antonios und die Landesgrenzen Argentiniens hinaus nicht überall Befürworter hat.

Auch mit 40 war er unverzichtbar

Doch entscheidend ist im Profisport ohnehin das eigene Umfeld, und hier hat Ginobili genau das geschafft, was sein Mentor und Förderer Messina vor seinem Eintritt in die NBA prophezeit hat: Er hat die Kultur einer ganzen Franchise geprägt – nach einer Championship und Berufung in die Hall of Fame wohl der größtmögliche Ritterschlag für einen Basketballer. Der Teamgedanke zuerst, das eigene Ego hinten anstellen, für die jungen Spieler da sein, Gehaltseinbußen im Sinne einer möglichen Verstärkung des Kollektivs hinnehmen, auch im absoluten Spätherbst der Karriere noch jeden Tag absolut professionell leben und über die sportlichen Grenzen hinaus in der Community sozial engagiert sein – all das hat „Manu“ Ginobili im Diensten der San Antonio Spurs in den vergangen 15 Spielzeiten aufopferungsvoll getan. Der sportliche, menschliche und symbolische Wert des mittlerweile 41-Jährigen war auch in der vergangenen Saison ungebrochen, als er seinen Vertrag entgegen vieler Erwartungen noch mal um eine weitere Spielzeit verlängerte.

Entscheidenden Anteil daran hatte Trainerlegende Popovich, für den Ginobili auch jenseits der 40 unverzichtbar war. „Er hat mir erzählt, er möchte, dass ich weitermache, und dass er mich im Team braucht“, erklärte Ginobili in der argentinischen Tageszeitung „La Nacion”. „Wenn er mich nicht gewollt hätte, wäre mir die Entscheidung des Rücktritts leichter gefallen. So war es für mich aber eine große Ehre, mit 40 Jahren für so eine Franchise immer noch wichtig zu sein und von Menschen wertgeschätzt zu werden.“ Gleichzeitig gab Ginobili preis, dass er bereits nach den Finals 2013 und 2014 einen Rücktritt in Erwägung gezogen hatte, aber Popovich auch damals mit Überzeugungskraft gegenlenkte. Der Shooting Guard, der in der vergangenen Saison in 65 Spielen 8,9 Punkte und 2,5 Assists verbuchen konnte, sah sich bis zuletzt bereit für die jede Aufgabe: „Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass ich noch mit 40 spielen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Aber ich bin bereit. Ich werde nun noch weiter meinen Urlaub genießen, und wenn ich zurück in San Antonio bin, werde ich alles reinhauen, die Maschine bestmöglich vorbereiten!“, erklärte Ginobili vor der letzten Saison seiner Karriere.

Nun ist die Legende Emanuel Ginobili zurückgetreten. Millionen von Basketball-Fans weltweit werden ihn dennoch niemals vergessen. Adios und Gracias, Manu!

Tom Huesmann