Kerrs größte Aufgabe 2017/18: der Kampf gegen den Schlendrian. Nach drei Finals-Teilnahmen in Folge und den fast makellosen Playoffs 2017 (16:1 Siege) sah Kerr Spieler, die sich plötzlich unbesiegbar fühlten – und entsprechend auftraten. Schon im ersten Monat der NBA-Saison steckte Golden State mehr Niederlagen ein (fünf), als es viele für die gesamte Saison erwarteten. Die Regular Season langweilte das Team, das war deutlich zu sehen. Womöglich auch eine Folge der Erfahrung aus 2016, als die Warriors zwar den legendären Bulls-Rekord knackten (73:9 Siege), aber am Ende ohne Championship dastanden. Also versuchte Kerr alles, um die Spannung zumindest in Richtung Playoffs aufzubauen, lud etliche Gastredner wie US-Motivationscoach Tony Robbins zum Training ein. Holte sich öffentliche Kritik ab, als er beim 129:83-Sieg gegen Phoenix im Februar seine Spieler selbst Coaching-Entscheidungen treffen ließ. ­Alles, um den Warriors-Motor auf Touren zu bringen. „Ich habe die Spieler im letzten Monat nicht mehr erreicht“, sagte er nach dem Spiel. „Sie haben meine Stimme satt. Ich selbst habe meine Stimme satt.“

Der „Signature Move“ der Warriors

Doch der Zweck heiligt die Mittel – in den Playoffs konnte sich Kerr auf sein Team verlassen. Und das, obwohl Curry (31), Durant (14), Green (12), Iguodala (11) und Thompson (9) verletzungsbedingt kurz vor oder sogar in den Playoffs Spiele verpassten. Kerr hatte es geschafft, Rollenspieler wie Quinn Cook, Jordan Bell, JaVale McGee oder Kevon Looney auf die große Bühne vorzubereiten, und wurde belohnt: Alle hatten einen Anteil an der Meisterschaft, McGee und Looney waren in den Playoffs sogar als Starter gefragt. Diese und ähnliche Aufgaben stehen dem Headcoach auch in der neuen Saison wieder bevor – irgendwann zumindest. „Wahrscheinlich komme ich erst nach dem All-Star-Break wieder, die Spieler hören mir eh nicht mehr zu“, scherzte Kerr auf der Meisterfeier des Teams aus Oakland.

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Shaun Livibgston legte in den NBA-Finals von den Guards der Warriors die beste Trefferquote an den Tag (Foto: Getty Images).

Zumindest in der Halbzeitpause scheint das aber nicht ganz zu stimmen. Mit beeindruckender Konstanz dominieren die Warriors nämlich die dritten Viertel in quasi jedem Spiel, haben den Kickstart aus der Halbzeitpause zu ihrem „Signature Move“ gemacht. Ein paar Beispiele: In der Saison 2017/18 haben die Warriors im dritten Viertel 153 Punkte mehr gemacht als der Gegner, das ist der beste Wert eines Teams in einem Viertel seit Beginn der Shotclock-Ära (1954). Fünf der acht größten „Unanswered Runs“, also Punkte ohne Antwort des Gegners, fanden im dritten Viertel statt.

Die unfairste aller Verbindungen

Doch das Phänomen ist für die Warriors nicht neu: Thompsons 37 Punkte in einem Viertel im Januar 2015? Drittes Viertel. Als Curry an Halloween 2015 alleine ein Viertel mit 28:26 gegen die Pelicans gewann? Drittes Viertel. Die 22:0-Läufe gegen die Kings im Februar 2017 und gegen die Lakers im Januar 2016? Drittes Viertel. Ebenso der 19:0-Lauf gegen die Bulls im Januar 2018, die 18:0-Läufe gegen die Spurs im Mai 2017 oder die Celtics im November 2016 … die Liste könnte noch weitergehen. Fest steht: Im dritten Viertel zeigen die Warriors ihre wahre Qualität. Gerade in der Serie gegen Houston war das einer der entscheidenden Faktoren, auch den Cavaliers nahm der Meister so in Spiel 3 das bisschen Wind aus den Segeln, das sich durch die Halbzeitführung aufgebaut hatte. „Wir gehen nicht ins Spiel und denken, dass wir es im dritten Viertel schon lösen und sonst etwas runterschalten können“, erklärt Draymond Green. „Aber wenn wir zur Halbzeit zurückliegen, reizt uns das sehr.“ Wer den Part des offensiven Spielentscheiders übernimmt, ist eine spontane Entscheidung. Klar, Curry und Durant kommen immer in Frage, aber auch Thompson, der sich 2017/18 in einem Punkt stark weiterent­wickelt hat: Entscheidungsfindung. Seine wilden Würfe sind weniger geworden, dafür besticht er durch fast unglaubliche Konstanz bei seinen offenen Versuchen (57,9 % True Shooting in den Playoffs, 50 % Treffer bei Dreiern aus der Ecke). Und weil dieser Punkt und seine starke Defense nun auch öffentlich mehr wahrgenommen werden, kann er die große offensive Bühne guten Gewissens seinen Teamkollegen mit den Rückennummern 30 (Curry) und 35 (Durant) überlassen. „Der größte Affront gegen die sportliche Fairness ist die Verbindung von KD und Steph“, sagt Grant Hughes vom „Bleacher Report“. „Denn nur einer von ihnen muss heiß laufen, damit du verlierst.“ Genau das war auch in den Finals 2018 zu sehen: Nach Currys beeindruckenden 33 Punkten in Spiel 2 (9 von 17 Dreiern) fiel der Point Guard in Spiel 3 in ein tiefes Loch, zeigte die schwächste Playoff-Performance seiner Karriere (3 von 16 aus dem Feld, 1 von 10 Dreiern, 11 Punkte). Doch weil Durant mit einer unglaublichen Performance zur Stelle war (43 Punkte, 13 Rebounds, 7 Assists, 65 % FG, 67 % Dreier), überstanden die „Dubs“ auch das erste Auswärtsspiel und standen quasi mit dem Ende von Spiel 3 als alter und neuer Meister fest.

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10,8 PPS, 10,6 REB, 8,1 AS, 2,1 ST, 1,5 BL – Draymond Green zeigte in den Playoofs mal wieder sein ganzes Repertoire (Foto: Getty Images)

Fast noch beängstigender als die derzeitige Dominanz der Warriors scheint nur ein Blick in die Zukunft zu sein. Denn anders als viele frühere Dynastien, die nach drei Meisterschaften an ihre Grenzen kamen, sind die Warriors wohl noch lange nicht fertig. Die „Big 4“ um Curry (30), Durant (29), Green und Thompson (beide 28) sind allesamt in ihrer „Prime“ und sollen mit allen Mitteln zusammengehalten werden. Durant hat bereits angekündigt, seine Player Option für 2018/19 (26,5 Mio. Dollar) ziehen zu wollen, dann sind Thompson (Vertrag bis 2019) und Green (bis 2020) die nächsten Baustellen. „Gute Sachen kosten immer viel Geld“, sagt Warriors-Owner Joe Lacob. „Wir werden alles tun, was wir können, um die beiden zu halten.“ Das Konzept in Golden State basiert dabei nicht nur auf individueller Qualität, sondern auch auf dem gegenseitigen Respekt der Superstars. Selbst seine Enttäuschung über die erneute Nichtberücksichtigung als Finals-MVP brachte Curry nicht dazu, ein schlechtes Wort über Durant zu verlieren. „Ich bin Kevins größter Fan. Er war überragend in den letzten beiden Jahren, vor allem in den Finals. Er hat es so verdient.“ Als die Warriors gegen Houston kurz vor dem Aus standen, schien das Gerüst zu bröckeln: Mehr als einmal zeigten Durant und Curry nach Fehlern in der Defense auf den anderen, mussten sich harte Worte vom anderen oder von Draymond Green anhören. Doch in den entscheidenden Momenten fand das Team wieder zu sich.

Ergänzend zu den vier Superstars sind auch Iguodala und Livingston noch bis 2020 gebunden. Keine Frage: Bleiben diese sechs Spieler weiter zusammen, gehört Golden State in jedem Jahr zu den Top-Favoriten. Spieler wie West, Young, Pachulia, McGee oder Looney haben zwar noch keinen Vertrag für die neue Saison, doch das Gerüst des Teams bleibt wohl noch über Jahre bestehen. Keine guten Nachrichten für die Konkurrenz. Das beste Team unserer Zeit hat noch lange nicht genug.

Thomas Werner