Vor 25 Jahren wurde Grant Hill gedraftet. Der heutige Hall-of-
Famer galt nicht nur als Ausnahmetalent, sondern wurde Ende der 90er auch als der neue Michael Jordan gehandelt. Eine lange Krankenakte verhinderte, dass „The Next Jordan“ jemals sein komplettes Potenzial ausspielen konnte. BASKET erinnert an den unglaublichen Hype und stellt wehmütig die Frage: „Was wäre, gewesen, wenn …?“

Grant Hill
Grant Hill wurde dreimal mit dem „NBA Sportsmanship Award“ ausgezeichnet (Foto: Getty Images).

Nicht viele Spieler kommen in die NBA und sind dafür bestimmt, die Krone zu tragen. Grant Hill hätte dies sein sollen. Er war von der Liga, den Spielern und jedem anderen dazu bestimmt, die Krone zu tragen“, erinnert sich Pistons-Legende Isiah Thomas an die immense Erwartungshaltung, der sich Hill zu Beginn seiner Karriere gegen­übersah. Dekoriert mit zwei College-Meistertiteln, die er mit Duke gefeiert hatte, enterte Grant Hill 1994 als großer Hoffnungsträger die Liga. Da sich der eigentliche Megastar Michael Jordan zu diesem Zeitpunkt eine Auszeit vom Basketball nahm und sich stattdessen als Baseballer versuchte, fehlte der NBA zu diesem Zeitpunkt das starke Zugpferd. Hill sollte ebenjenes werden! Die stärksten Spieler der damaligen NBA – Hakeem Olajuwon, Patrick Ewing, Charles Barkley oder auch David Robinson – waren allesamt Big Men und somit nicht ideal, um die Lücke zu schließen, die „His Airness“ hinterlassen hatte. Es brauchte einen Dribbler, einen Highflyer, einen Spieler, der Nacht für Nacht für spektakuläre Highlights sorgen konnte und gleichzeitig charismatisch genug war, um die NBA auch als werbewirksames Gesicht zu repräsentieren. Der Auserwählte, dem sehr schnell das Label „Next Jordan“ übergestülpt wurde, war Grant Hill.

Heftiger Hype

Und der Messias machte seine Sache von Anfang an gut: Mit 19,9 PPS, 6,4 REB, 5,0 AS und 1,8 ST stellte er direkt in seiner Rookiesaison klar, dass er bereit war, die Rolle des neuen Heilsbringers anzunehmen. Der Hype seinerzeit war gewaltig und überstieg sogar bei weitem den, der aktuell um Luka Doncic gemacht wird. Kostprobe gefällig: Der Neuling wurde bereits in seiner Debütsaison zum All-Star-Game eingeladen. Aber nicht nur das: Er erhielt die meisten Stimmen aller Spieler. Wenig überraschend, wurde Hill – auch wenn er sich den Award mit Jason Kidd teilen musste – zum „Rookie of the Year“ ernannt. „Grant Hill spielte bereits als Rookie wie ein Veteran“, erinnerte sich der frühere Magic-Playmaker Penny Hardaway, der mit Hill gemeinsam auf der High School gespielt hatte, später an Hill.

Gesicht der Franchise

Doch ebenso wichtig wie für die Liga war der Small Forward Ende der 90er-Jahre für die Situation der Pistons. Die traditionsreiche Franchise aus der Arbeiterstadt Detroit – ein absolutes Spitzenteam der späten 80er- und frühen 90er-Jahre – hatte gewaltig an sportlichem Glanz eingebüßt, war zur grauen Maus der Liga verkommen. Diese Identitätskrise zeigte merkwürdige Facetten: So wurde ein neues Franchise-Logo mit neuen Farben und einem Pferd kreiert (2017 kehrten die Pistons zum alten Logo zurück). Eine neue Ära wurde ausgerufen, und Hill sollte diese mit Leben füllen.

Doch richtiger Erfolg blieb aus. In den sechs Jahren, in denen Hill für die Pistons die Sneaker schnürte, wurden die Playoffs zwei Mal gänzlich verpasst. Bei den vier übrigen Teilnahmen an der Postseason war jeweils nach der ersten Runde Schluss. Den Verantwortlichen gelang es zu keinem Zeitpunkt, eine stimmig zusammengestellte Mannschaft an den Start zu schicken. Die namhaftesten Spieler, die während der Hill-Ära in „Motown“ das Pistons-Jersey trugen, waren Joe Dumars, Jerry Stackhouse, Allan Houston und Otis Thorpe. Dass es die Pistons überhaupt in die Playoffs schafften, hatten sie ihrer personifizierten One-Man-Show zu verdanken. Der 3. Pick des NBA-Drafts von 1994 sammelte in seiner Zeit bei den Pistons jede Menge individuelle Auszeichnungen: 1997 wurde der Forward gemeinsam mit Olajuwon, Malone, Jordan und Tim Hardaway ins All-NBA-First-Team gewählt. Doch auch als Repräsentant der NBA und als Testimonial für Firmen wie McDonald’s und Fila war Hill extrem gefragt. In Deutschland lief in den 90ern vor allem die Werbekampagne „Grant Hill trinkt Sprite“ in Dauerschleife. Die übertriebene Stilisierung zum Megastar verstärkte den Druck, endlich Erfolge vorweisen zu müssen.

Doch statt sportlich richtig durchzustarten, traten in der Saison 1999/00 gewaltige Probleme in das Leben des Mannes, der 1996 mit den USA Olympisches Gold gewonnen hatte. „Ich habe gut gespielt, musste aber ständig behandelt werden“, erinnerte sich Hill später. „Je länger die Saison dauerte, desto schlimmer wurde es. Die Ärzte sagten, dass es nur eine Knochenprellung sei. Ich fand sogar heraus, dass die Teamärzte daran, ob ich überhaupt verletzt sei.“

Grant Hill
1999/2000 legte Grant Hill für die Pistons 25,8 Punkte pro Spiel auf (Foto: Getty Images)

In Spiel zwei der Playoffs, das er trotz großer Schmerzen spielte, passierte es dann: „Ich hörte ein Knacken, und nach dem Spiel stellten wir fest, dass der Knöchel gebrochen war“, beschreibt Hill den Moment, der wohl eine noch größere Karriere verhinderte. Wenig überraschend schied Detroit ohne seinen Point Forward sang- und klanglos mit 0:3 aus.

Verpasste Prime

Hill spielte anschließend nie wieder für die Pistons, sondern unterschrieb 2000 bei den Magic, um an der Seite von Tracy McGrady zu spielen. Doch aufgrund zahlreicher Verletzungen erlebten die Fans der Magic das Traum-Duo so gut wie nie zusammen: Hill absolvierte in seinen ersten drei Saisons im sonnigen Florida gerade einmal 47 Spiele. Der als Star in die Liga gekommene Hoffnungsträger verpasste seine gesamte Prime.
In Orlando spielte Hill stets mit Schmerzen. So auch drei Monate nach einer OP, die eigentlich mehr als ein halbes Jahr Reha erfordert hätte. „Es war verrückt. Sie hatten 92 Millionen Dollar in mich investiert und ließen mich spielen. Das war großes Miss-Management.“

Erst bei den Suns, die eine der besten medizinischen Abteilungen der Liga hatten, spielte der siebenmalige All-Star wieder schmerzfrei. Auch wenn Grant Henry Hills Karriere für immer als unvollendet gelten wird, spielte er noch bis zu seinem 41. Lebensjahr in der NBA und wurde 2018 in die Hall of Fame aufgenommen. Auf die oft gestellte Frage, ob Hills Einzug in die Ruhmeshalle verdient gewesen sei, lässt sich nur eines sagen: Seine sechs Jahre für Detroit waren besser, als das, was viele Hall-of-Famer während ihrer gesamten Laufbahn geleistet haben. Wie großartig die Karriere des Forwards ohne Verletzungen hätte werden können, bleibt leider für immer spekulativ.

Autor: Markus Unckrich